Erstellt am 27.08.2024
OGH vom 24.01.2024, 9 ObA 96/23t
§ 105 Abs. 3b ArbVG
So entschied der OGH:
A) Der Kündigungsschutz bei älteren Arbeitnehmern in § 105 Abs. 3b ArbVG
Nach § 105 Abs 3b zweiter und dritter Satz ArbVG sind bei älteren Arbeitnehmern sowohl bei der Prüfung, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, als auch beim Vergleich sozialer Gesichtspunkte der Umstand einer vieljährigen ununterbrochenen Beschäftigungszeit im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, sowie die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess besonders zu berücksichtigen.
Dies gilt nicht für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben.
Zur Auslegung dieser Bestimmung hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung_ 9 ObA 86/19s = WPA 11/2020, Artikel Nr. 182/220_ unter Bezugnahme sowohl auf Vorjudikatur als auch Literatur ausführlich Stellung genommen.
In dieser Vorentscheidung wurde darauf verwiesen, dass Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Regelung dafür sprechen, dass Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei nach dem 50. Lebensjahr eingestellten Arbeitnehmern, deren Dienstverhältnis in den ersten zwei Beschäftigungsjahren endet, **nicht **in „besonderem“ Ausmaß zu berücksichtigen sind, womit aber eine „normale“ Berücksichtigung wie auch sonst verbleibt.
Dies gilt auch nach der letzten Novelle, im Zuge welcher die Einschränkung auf die „ersten zwei Beschäftigungsjahre“ weggefallen ist.
B) Bei Einstellung ab 50 fällt das besondere Augenmerk auf Wiedereingliederungsprobleme weg, aber es verbleibt in „normalem Maß“:
Aus dem Ausschussbericht 1497 BlgNR 25. GP 2 zur letzten Novelle geht als Wille des Gesetzgebers hervor, dass „das Alter nicht mehr gesondert, sondern nach demselben Maßstab wie bei jüngeren Arbeitnehmern herangezogen werden“ sollte.
Das bedeutet nichts anderes, als dass bei jüngeren und älteren (50+) Arbeitnehmern für die Frage der Wiedereingliederungsschwierigkeiten derselbe Prüfmaßstab – nicht aber dasselbe Alter – anzulegen ist.
Nur ältere Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, kommen danach noch in den Genuss einer besonderen Berücksichtigung von altersbedingten Wiedereingliederungsschwierigkeiten.
Während der zweite Satz in § 105 Abs. 3b ArbVG das Schutzniveau älterer Arbeitnehmer höher ansetzt, schwächt der dritte Satz dieses gesteigerte Schutzniveau wieder auf ein Normalniveau für Arbeitnehmer, die ab 50 eingestellt wurden, wieder ab.
Im Ergebnis bedeute dies, dass aufgrund des konkreten Lebensalters zu erwartende Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei ab dem 50. Lebensjahr eingestellten (noch nicht zwei Jahre beschäftigten) Arbeitnehmern im Rahmen der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung eines Arbeitnehmers nach ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung für ihn nicht „besonders“, sondern wie bei einem jüngeren Arbeitnehmer, das heißt „gewöhnlich“ zu berücksichtigen ist.
Dass die mit dem jeweiligen Alter zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt danach nicht zur Gänze auszublenden sind, unterwandert bei über dem 50. Lebensjahr eingestellten Arbeitnehmern auch noch nicht die gesetzliche Intention einer Einstellungsförderung bei 50+ Arbeitnehmern, weil in jedem Einzelfall die Gesamtsituation eines gekündigten Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist.
Eine abstrakte, alterslose Beurteilung würde nicht nur dem Prinzip widersprechen, dass die individuelle Interessenbeeinträchtigung des gekündigten Arbeitnehmers festzustellen sei, sondern ließe auch offen, welches Alter dafür als Vergleichsalter an-zunehmen wäre.
Altersbedingte Wiedereingliederungsschwierigkeiten könnten schon bei zB 35- oder 45-jährigen Arbeitnehmern unterschiedlich sein.
Abzustellen ist daher auf allfällige besondere Erschwernisse und Beeinträchtigungen, die sich aufgrund des Alters aus einer Arbeitsplatzsuche ergeben, ohne dass dazu generalisierende Aussagen getroffen werden können.