Erstellt am 20.09.2024
Bereits in der Ausgabe Nr. 13/2024 der WIKU Personal aktuell durfte ich über eine interessante Entwicklung in der EuGH-Judikatur berichten.
Da hatte es nämlich ein Fall aus Deutschland geschafft, die Welt der Teilzeitbeschäftigungsmehrarbeit in die Nähe der Überstundenleistung zu rücken und zwar, was die Entlohnung (in Deutschland: Vergütung) betrifft.
Die Reaktion in der österreichischen Literatur auf diesen Entscheid bestand noch darin zu beschwichtigen bzw. darauf hinzuweisen, dass man das deutsche Recht mit dem österreichischen Recht nicht vergleichen könne. Anmerkung: das ist meiner Wahrnehmung nach das häufigst verwendete Argument, wenn die EuGH-Judikatur, die zu einem anderen Land ergangen ist, "ungelegen" erscheint (nach dem Motto: So sind wir nicht).
Aber: er hat es nun wieder "getan". Erneut ging es um praktisch genau diese Frage, nämlich, ob es tatsächlich gerechtfertigt wäre, bei Teilzeitbeschäftigten erst dann von Überstundenarbeit zu sprechen (hinsichtlich Entlohnung), wenn die für die Vollbeschäftigten gültige wöchentliche Normalarbeitszeitgrenze überschritten wäre.
Dieses Mal wurde der EuGH noch deutlicher als bei seiner letzten Entscheidung. Er meinte, dass es sich dabei um eine unzulässige schlechtere Behandlung von Teilzeitkräften gegenüber Vollbeschäftigten handeln würde (==> Verstoß gegen die Rahmenvereinbarung über Teilzeitvereinbarung), wenn Teilzeitmehrarbeit schlechter entlohnt würde als Überstunden bei Vollbeschäftigten oder Überstundenleistungen bei Teilzeitbeschäftigten erst dann als solche vorlägen, wenn die für Vollbeschäftigte geltenden Normalarbeitszeitgrenzen überschritten würden. Genau bei diesem Argument könnte man im Grunde genommen aufhören weiterzulesen, da der Befund klar ist. Teilzeitmehrarbeit müsste somit auch bei uns in Österreich wie Überstunde entlohnt werden.
Aber es kommt nun ein Argument hinzu, das dazu führen kann, dass die Sache für einen österreichischen Arbeitgeber, an dem sich eventuell ein nationaler Fall "abarbeitet", so richtig teuer werden kann (Stichwort: Entschädigunsgzahlungen aufgrund des Gleichbehandlungsgesetzes):
Denn nach Ansicht des EuGH im vorliegenden Fall_ (C-184/22 und C-185/22 vom 29.07.2024)_ kann hier auch eine mittelbare Diskriminierung vorliegen, nämlich dann, wenn erwiesen ist, dass diese Benachteiligung mehrheitlich Frauen betrifft. Dabei spielt es allerdings keine Rolle, ob die Gruppe der Vollbeschäftigten mehrheitlich aus Männern oder mehrheitlich aus Frauen besteht. Anmerkung: vermutlich geht es bei der Klärung dieser Frage (noch) um das physische Geschlecht.
Wenn Sie nun denken, dass bei dieser neuen Auslegung die Vollbeschäftigten gegenüber den Teilzeitbeschäftigten benachteiligt würden, dann hat der EuGH im aktuellen Urteil auch darauf eine Antwort; auch dieses Argument rechtfertigt nicht die eben erörterte "Diskriminierung" von Teilzeitkräften (man spüre den Unterschied zwischen "erlaubter Benachteiligung von Vollzeitkräften" und "verbotener Diskriminierung von Teilzeitkräften").
Auch das Verhindern-Wollen, dass der Arbeitgeber Mehrleistungen über das individuell vereinbarte Arbeitszeitausmaß (Teilzeit) anordnen kann, ist nicht geeignet, diese Diskriminierung zu rechtfertigen (wäre wohl eher umgekehrt der Fall).
Das deutsche Bundesarbeitsgericht ist nun am Zug und muss nun die nationale Entscheidung dazu fällen, was es wohl in Bälde tun wird (ich werde darüber berichten).
Wie lange es dauern wird, bis diese Welle auch die österreichische nationale Rechtslage erreicht, kann schwer gesagt werden. Vermutlich wird das noch ein paar Jährchen dauern, weil ja bei "uns die Rechtslage GAAAANZ anders ist" und sich sehr wahrscheinlich erst dann etwas bewegen wird, wenn sich ein Rechtsstreit zum EuGH nach Luxemburg bewegt. Sagen wir: geschätzte 3 bis 5 Jahre, es sei denn, der Gesetzgeber greift ein, womit - zumindest derzeit - nicht zu rechnen sein wird.
Näheres zu diesem Fall gibt es hier:
Das Urteil im Volltext gibt es hier: